Heimat darf keine rückwärts gewandte Utopie und erst recht kein neo-völkischer Rückzugsort sein. Unter modernen Bedingungen ist sie vor allem eine Frage der inneren Haltung und einer gefestigten Persönlichkeit.
In der Auseinandersetzung mit der AfD ist „Heimat“ zu einem Schlüsselbegriff geworden. Denn mit der Heimat ist ein starkes Gefühl verbunden. Und mit starken Gefühlen lässt sich bekanntlich Politik machen. Das hat die AfD in den jüngsten Wahlkämpfen gezeigt. Allerdings auch, dass die politische Indienstnahme der Heimat ein Spiel mit dem Feuer ist. Denn sie ist ein schillernder Begriff, historisch korrumpiert vor allem durch die Nationalsozialisten.
Für diese war Heimat gleichbedeutend mit einer rassisch begründeten Abstammungsgemeinschaft in einem bestimmten besiedelten Raum. Heimat war damit exklusiv deutsch, Inbegriff einer völkischen Blut-und-Boden-Ideologie. Sie proklamierte eine Identität, die sich gegen andere richtete. Mehr noch: Wer keine deutsche Abstammung nachweisen konnte, wurde verfolgt und ausgelöscht.
Wer von Heimat spricht, muss das im Hinterkopf behalten. Die Heimat ist eben nicht nur der Ort, in den wir hineingeboren werden und wo wir prägende Erfahrungen machen, sondern auch ein rechter Kampfbegriff. Deswegen reicht es nicht, den Begriff als magische Formel zu verwenden. Wenn wir den Rechtsextremen nicht auf den Leim gehen wollen, müssen wir sagen, welche Heimat wir meinen. Sonst tragen wir zu einem Rechtsruck unserer Gesellschaft bei.
Dass der Heimatbegriff neue Bedeutung erhält, hat ohne Frage mit unserer modernen Welt zu tun. Sie ist geprägt von Geschwindigkeit und Mobilität, Vielstimmigkeit und digitaler Vernetzung, global agierenden Wirtschaftsmächten und internationalem Terrorismus. Dieser modernen Welt Sinn abzugewinnen und in ihr Orientierung zu finden, fällt weiß Gott nicht leicht. Viele sehnen sich deshalb nach überschaubaren und stabilen Verhältnissen.
Es ist dieses Versprechen, das der Heimat neue Strahlkraft verleiht. Die Vorstellung, es könnte einen Ausstieg aus der modernen Welt geben. Einen Weg zurück in ein Früher, als vermeintlich alles besser, weil einfacher, verlässlicher und vertrauter war. Heimat ist heute nicht selten eine Absage an die Modernität, die als Entfremdung wahrgenommen wird.
Wenn die Politik Menschen Heimat verspricht, sollte sie sich indessen hüten, etwas zu versprechen, was sie nicht halten kann. Ein Ausstieg aus unserer modernen Welt ist weder möglich noch wünschenswert, schließlich verdanken wir dieser unseren Wohlstand und viele zivilisatorische Errungenschaften. Wer kann sich zum Beispiel trotz aller Risiken, die damit verbunden sind, noch ein Leben ohne Computer und eine weltweite Kommunikation vorstellen?
Heimat darf deswegen keine rückwärts gewandte Utopie und erst recht kein neo-völkischer Rückzugsort sein. Unter modernen Bedingungen ist sie vor allem eine Frage der inneren Haltung und einer gefestigten Persönlichkeit. Nötig ist vor allem eine Beheimatung in den Werten unserer abendländischen Kultur. Dazu gehören Mitmenschlichkeit und Solidarität genauso wie Offenheit und Toleranz, Respekt vor der Würde des anderen genauso wie eine demokratische Gesinnung.
Heimat ist mehr als ein Ort oder eine Region und etwas anderes als ein Nationalstaat. Heimat entsteht im Miteinander von einstmals Fremden, die sich im anderen als heimisch Gewordene erkennen. Das kann überall auf der Welt sein.
Michael Strauss