Warum mehr Klimaschutz nötig ist, aber nicht zu ethischem Rigorismus und ökologischem Fundamentalismus führen darf.
Besondere Bedrohungen haben im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder die Angst vor einem Weltuntergang hervorgerufen. Schon in antiken Quellen findet sich die Vorstellung, dass es am Ende aller Zeiten auf einen Kampf zwischen Gut und Böse hinausläuft. Und erst recht die Apokalypsen in Judentum und Christentum haben einen nachhaltigen Eindruck nicht nur auf die Menschen ihrer Zeit hinterlassen, sondern sind zu weltanschaulichen Mustern geworden.
Immer wieder ertönte die Unheilsprophezeiung, der Menschheit sei nur noch eine kurze Frist gegeben. Die ersten Christen lebten in diesem Bewusstsein; sie gingen fest davon aus, dass noch zu ihren Lebzeiten Christus wiederkehren und das Reich Gottes auf Erden errichten werde. Deswegen legten sie keinen Wert auf materielle Werte und gesellschaftliche Konventionen und richteten ihr Trachten und Sinnen vollständig darauf aus, würdig für das Gottesreich zu sein.
Im Mittelalter waren es vor allem Kriege, Hungersnöte und Epidemien, die den Menschen so bedrohlich erschienen, dass sie das Ende der Welt nahe herbeigekommen sahen. Und für Martin Luther war es gar der Papst in Rom, den er als Antichrist identifizierte und deswegen als Vorboten einer apokalyptischen Zeitenwende. Die Angst vor einer geradezu kosmischen Katastrophe, der die Menschen ausgeliefert sind, rief immer wieder Endzeitpropheten auf den Plan.
Verbunden war diese Angst vor dem Untergang stets mit dem Ruf zur Umkehr aus falschem Handeln und falschem Bewusstsein. Auch in dieser Hinsicht nährte vor allem die christliche Tradition die Hoffnung, dass Einsicht in die eigene Schuld und ein geläutertes Herz das Schlimmste verhüten können. So, wie in der Geschichte vom Propheten Jona in Ninive. Die Stadt kehrt um aus ihrem gotteslästerlichen Verhalten und tut Buße. Woraufhin Gott Gnade walten lässt und den Untergang abwendet. Die Umkehr ermöglicht neues Leben.
Was sich hoffnungsfroh anhört, war indessen eng mit der Überprüfung der Gesinnung verknüpft. Einer Überprüfung, die fest in den Händen der Kirche lag. Sie maßte sich an zu entscheiden, wer ein gottgefälliges Leben führte und wer nicht. Die Foltergefängnisse der Inquisition und die grausame Praxis der Hexenprozesse legen davon bis heute Zeugnis ab. Wer keine Zweifel an der eigenen Rechtschaffenheit kennt, ist häufig kein Diener des Guten, sondern ein Handlanger des Bösen.
Wer ein heiliges Ziel verfolgt, kennt häufig keine Regeln mehr, wenn es darum geht, dieses Ziel zu erreichen. Denn das heilige Ziel ist ja das Gute, das geschaffen werden muss, damit die Menschheit dem Untergang entgeht. Doch je radikaler das Gute angestrebt wird, desto menschenverachtender kann das Streben danach werden. Es setzt sich absolut und delegitimiert zivilisatorische und rechtliche Standards.
Auch das Streben nach dem Guten kann fundamentalistische Züge annehmen. Diese Erfahrung teilte das Christentum zunehmend mit konkurrierenden Weltanschauungen auf dem politischen und säkularen Feld. Sowohl Ideologien rechter wie linker Provenienz haben Menschen das Heil versprochen, wenn sie ihren Vorstellungen folgen. Da, wo sie es bereitwillig taten, führte ihr Weg allerdings nicht in das gelobte Land, sondern erst recht in den Untergang.
Heute gibt es neue Bedrohungen. Neben der Bedrohung des Friedens durch Kriege ist es vor allem die Klimakrise, die Menschen Angst macht. So große Angst, dass sie wieder ein apokalyptisches Bewusstsein entwickeln und zu einer radikalen Umkehr aufrufen. Und in der Tat ist es bedrückend, wenn wir sehen, wie schwer sich die Politik tut, grundlegende Änderungen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz zu erreichen. Vieles geht zu langsam und braucht zu viel Zeit. Die Enttäuschung darüber teilen viele Menschen mit den Klima-Aktivisten; sie sind bereit für einen klimagerechten Wandel unserer Lebensverhältnisse.
Was die meisten jedoch nicht teilen, ist deren apokalyptisches Bewusstsein und ethische Radikalität. Angesichts der historischen Erfahrungen sind sie skeptisch, dass diese dem Ziel wirklich dienen. Unsere Demokratie kennt legitime Formen des Protestes und der Partizipation. Kalkulierte Überschreitungen von Recht und Ordnung gehören nicht dazu. Wer sie vornimmt, postuliert ein höheres, heiliges Ziel und erhebt sich über unsere demokratische Grundordnung. Der Schritt zum Gesinnungsterror ist dann nur noch ein kleiner.
Die Klimakrise mag noch so bedrängend sein, wir müssen sie auf dem Boden von Demokratie und Freiheit, Recht und Respekt, Rede und Gegenrede meistern. Sie darf nicht zu einer Gesinnung führen, die den Weg ebnet zu ethischem Rigorismus und ökologischem Fundamentalismus. Demokratie und Klimaschutz dürfen kein Gegensatz werden; die Demokratie muss die Basis für einen besseren Klimaschutz bleiben. Sonst könnte die „letzte Generation“ eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden.
Michael Strauss