Das Grundgesetz feiert 75. Geburtstag und viele feiern mit. Das stimmt zuversichtlich, dass die Demokratie ihre besten Tage noch nicht hinter sich hat. Weder hierzulande noch in Europa.

Die Demokratiefeste zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes zeigen einen eindrucksvollen Schulterschluss. Für Demokratie und Menschenrechte. Für Freiheit und Frieden. Für Europa! Wir haben verstanden: Es kommt auf uns an. Wir überlassen das Land nicht denen, die unsere Demokratie unterwandern und daraus einen autoritären Staat machen wollen. Wir lassen es nicht zu, dass Freiheit und Menschenrechte einem neuen völkischen Nationalismus geopfert werden.

Wir sind überzeugt: Deutsch sein ist keine Frage der Abstammung, sondern eine Frage der Treue zu unserem Grundgesetz. In diesem Grundgesetz steht es, ganz am Anfang, in Artikel eins: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht: Die Würde der Deutschen ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen. Egal, wo jemand herkommt. Egal, welches Geschlecht jemand hat. Egal, was jemand glaubt. Das war das Neue.

Das ist das besondere Vermächtnis unseres Grundgesetzes. Dieses Vermächtnis gilt es zu hüten. Denn es wurde mit Schmerzen errungen. Das Grundgesetz markiert den Gründungsmythos eines neuen Deutschlands nach der Katastrophe des Zweiten des Weltkrieges und der Barbarei des Nationalsozialismus. Es ist die Gründungsurkunde eines „Nie wieder“! Nie wieder sollen Menschen diskriminiert und verfolgt werden, weil sie angeblich anders sind als die angebliche Mehrheit. Nie wieder darf eine totalitäre Macht nach unseren Seelen greifen.

Deswegen rufen wir allen Verächtern unserer Demokratie zu: Mit uns nicht! Dankbar erinnern wir uns an das, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes vor 75 Jahren geleistet haben. Sie haben den Grund gelegt für das beste Deutschland, das es je gegeben hat. Für ein Deutschland mit großen Freiheiten, das viele Lebenswege möglich macht. Niemand schreibt uns vor, welches Leben wir zu leben haben.

Auch die Kirche nicht mehr. Auch sie hat verstanden: Menschen sind frei, die Weltanschauung zu wählen, die ihre Seele erhebt. Gleichzeitig aber ist die Kirche heute auch ein Akteur unserer Zivilgesellschaft, die sich mit allen Bürgerinnen und Bürgern über den 75. Geburtstag des Grundgesetzes freuen kann.

Auch die Kirche hat schmerzlich gelernt aus ihrem Versagen in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie weiß: Der Glaube braucht ein freies Herz. Er duldet keinen Befehl. Deswegen ist der weltanschaulich neutrale Staat ein großer Gewinn. Er ist die Voraussetzung dafür, dass alle in Freiheit ihre Glaubensüberzeugungen leben können.

Die Feiern zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes zeigen, dass unsere Demokratie Kraft hat. Und das gemeinsame Bekenntnis zum Grundgesetz macht Mut. Mut und Kraft brauchen wir für die Zeit, die vor uns liegt. Wir brauchen sie nicht nur für unser Land, sondern für unseren Kontinent. Wir brauchen Mut und Kraft für Europa. Denn Europa ist unser Schicksal.

Europa ist ebenso wie das Grundgesetz ein Versprechen, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erwachsen ist. Es ist das Versprechen auf Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern. Das Versprechen, dass wir miteinander auch neue Herausforderungen bestehen können. Deswegen heißt der Dreiklang heute: Freiheit. Demokratie, Europa!

Michael Strauss