Der Reformationstag ist in Niedersachsen zum Zankapfel geworden. Soll er gesetzlich geschützt werden? Eigentlich gibt es dafür gute Gründe, doch die gehen im Getöse unter.

Steht Niedersachsen vor einem neuen Kulturkampf? Angesichts der Debatte, ob der Reformationstag ein gesetzlich geschützter Feiertag werden soll, liegt diese Befürchtung nicht fern. Selten waren die Fronten zwischen den Konfessionen, Religionen und politischen Akteuren so verhärtet, wie in dieser Frage. Dabei war das Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr harmonisch zu Ende gegangen. So sehr wie nie hatte die evangelische Kirche die Erinnerung an die Umwälzungen vor 500 Jahren selbstkritisch, dialogisch und ohne eine Heldenverklärung Martin Luthers gefeiert.

Und nun das! Offene Ablehnung, konfessionelle Ressentiments und anti-christliche Propaganda. Man reibt sich die Augen, als wäre das gute Miteinander in jüngster Zeit nur ein diplomatisches Stillehalten gewesen. Es scheint so, als wären eigene Interessen wichtiger als die Erkenntnisse, die das Reformationsgedenken heraufgefördert hat. Schon jetzt darf man skeptisch sein, ob der Reformationstag angesichts der Grabenkämpfe noch als gesetzlich geschützter Feiertag konsensfähig ist.

Damit hätten seine Gegner ihr Ziel bereits erreicht. Sie hätten es geschafft, den Reformationstag als konfessionellen Kampftag verbohrter Protestanten zu diskreditieren. Als würden evangelische Christen in einer reaktionären Ecke stehen und hätten die Zeichen einer multireligiösen, freiheitlichen Gesellschaft noch nicht ausreichend erkannt. Dann doch lieber die heiligen drei Könige feiern, den internationalen Tag der Menschenrechte, das Ende des Zweiten Weltkriegs oder am besten überhaupt nichts Zusätzliches, damit die Wirtschaft nicht leidet!

Keine Frage, es gibt eine Reihe von Tagen, die als gesetzlich geschützte Feiertage geeignet wären. Um es aber klar zu sagen: Der Reformationstag ist es auch. Seine propagandistische Ablehnung ist unfair und wird in keiner Weise dem heutigen Protestantismus als einer konstruktiven gesellschaftlichen Kraft gerecht.

Wer den Tag von römisch-katholischer Seite ablehnt, sollte berücksichtigen, dass die Reformation keineswegs nur ein protestantisches Ereignis war. Sie führte zwar zur Bildung evangelischer Kirchen, aber eine beispiellose Kirchenspaltung war damit nicht verbunden. Bereits 500 Jahre früher hatte sich die Ostkirche von Rom gelöst und eigene, orthodoxe Kirchentümer entwickelt. Außerdem hatte die Reformation Modernisierungsprozesse zur Folge, die auch die römisch-katholische Kirche verändert haben. Die Reformation ist zu einem Lernbeispiel geworden, wie Religionen in einem modernen Gemeinwesen zum Wohl aller zusammenleben können.

Wer den Tag von jüdischer Seite ablehnt, sollte berücksichtigen, dass die Reformation nicht nur auf Luther begrenzt werden kann. Sie war ein komplexes Geschehen, das von vielen Personen geprägt wurde. Luthers Judenhass, der insbesondere in seinen späten Lebensjahren zum Ausdruck kam, gehört ohne Frage zur Hypothek seines Wirkens. Gerade sie aber führte zu einer selbstkritischen Beschäftigung mit der Frage, inwieweit der Protestantismus dem Antisemitismus Vorschub geleistet hat. Im Ergebnis sprechen viele Kirchenverfassungen heute von einer besonderen Verbundenheit mit dem Volk Israel. Christen haben weithin erkannt, dass Juden ihre älteren Brüder und Schwestern im Glauben sind.

Und wer den Reformationstag von atheistischer Seite ablehnt, sollte berücksichtigen, dass die evangelische Kirche heute zu den stärksten Unterstützern der Demokratie gehört. Sie stellt geistige Ressourcen bereit, die unser Gemeinwesen braucht, aber nicht selber herstellen kann. Ihre Mitglieder übernehmen auf vielen Ebenen Verantwortung, aus innerer Überzeugung und zum Wohl aller. In Niedersachsen sind fast vier Millionen Bürgerinnen und Bürger evangelisch, knapp die Hälfte der Bevölkerung. Rund 17 Prozent sind römisch-katholisch und etwa 8000 Personen gehören den jüdischen Gemeinden in Niedersachsen an.

Die Reformation war ein kulturhistorisches Geschehen ersten Ranges. Sie hat unsere gesamte Welt auf den Kopf gestellt, nicht nur die Kirchen. Ohne die Kräfte, die sie freigesetzt hat, wären wir kaum diejenigen, die wir heute sind. Es gibt also durchaus gute Gründe, den Reformationstag mit dem gesetzlichen Feiertagsschutz auszustatten. So wie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Es mag am Ende anders kommen, aber dann bitte ebenfalls auf der Basis guter Gründe.

Michael Strauss