Der Reformationstag ist ein Symbol für Aufbruch, Erneuerung und Dialog. Das rechtfertigt einen gesetzlichen Feiertag.

Nun also doch: Der Reformationstag wird in ganz Norddeutschland ein gesetzlich geschützter Feiertag. Nach erbitterten Auseinandersetzungen hat jetzt auch der niedersächsische Landtag dafür gestimmt. 100 von 137 Parlamentariern waren in namentlicher Abstimmung dafür, 20 dagegen, 17 enthielten sich.

Doch so klar wie das Ergebnis sahen die Kräfteverhältnisse zwischenzeitlich nicht aus. Die katholischen Kritiker sahen in dem Tag ein Symbol der Kirchenspaltung. Die jüdische Seite erinnerte an Luthers Antisemitismus. Die FDP machte sich zum Fürsprecher der Konfessionslosen und Wirtschaftsbosse. Und die Frauen plädierten für einen Symboltag zur Gleichberechtigung.

In einer Debatte, die bis zum Tag der Abstimmung von großer Emotionalität geprägt war. Wohl auch deshalb, weil die Kritiker dagegen waren, dass ein christlicher Feiertag gesetzlich geschützt wird. Sehen sie doch das Gewicht des christlichen Glaubens und die Bedeutung der Kirchen in unserer Gesellschaft schwinden. Außerdem äußerten sie die Sorge, der Staat wahre nicht ausreichend seine religiöse Neutralität.

Gleichwohl hat der Landtag mit deutlicher Mehrheit den Reformationstag zum neuen arbeitsfreien Feiertag in Niedersachsen bestimmt. Auch dafür gibt es Gründe. Nicht nur die Tatsache, dass knapp die Hälfte der Niedersachsen immer noch der evangelischen Kirche angehört. Vor allem die Erkenntnis, dass die Reformation zu den herausragenden Prägekräften unserer Kultur gehört.

So heterogen das Geschehen vor 500 Jahren auch war. Die Impulse und Wirkungen der Reformation haben dazu beigetragen, dass sich ein moderner Geist entwickeln konnte. Zwar gibt es keine direkte Verbindungslinie zwischen Reformation und freiheitlicher Demokratie, genauso wenig wie zwischen Luthers Judenhass und dem Holocaust. Aber ohne die Reformation wäre die mittelalterliche Welt ihren Verkrustungen verhaftet geblieben. So war die Reformation vor allem eines: eine Aufbruchs- und Erneuerungsbewegung im Dialog mit den Menschen ihrer Zeit.

Aufbruch, Erneuerung, Dialog – sollte diese Trias nicht auch für uns heute mehr denn je bedeutsam sein? In einer Gesellschaft, die demokratische Freiheiten dazu nutzt, sich in eigenen Identitäten und nationalen Leidenschaften zu verschanzen. Die sich in digitalen Echokammern selbst bestätigt und Kritik als persönlichen Angriff versteht. Die dem Populismus anheim fällt und der Wahrheit von Willkürherrschern.

Der Reformationstag ist ein Stachel im Fleisch einer solchen Gesellschaft, weil der kritische Widerspruch zu seiner inneren Mitte gehört. Deswegen können die evangelischen Kirchen den neuen gesetzlichen Feiertag nicht als konfessionellen Sieg feiern. Er ist vielmehr ein Geschenk für alle, denen das Gemeinwohl am Herzen liegt. Darin dürfen sich Staat und Kirche trotz ihrer verfassungsmäßigen Trennung einig sein. Sind sie doch Partner um der Menschen willen.

Michael Strauss