Der islamistische Terror führt das zivilisierte Europa an die Grenzen seiner Vorstellungskraft.

Die Betroffenheit wird zur Sprachlosigkeit. Welche Worte können wir noch finden angesichts einer Spirale des Terrors, die sich immer weiter dreht? Nach den Anschlägen von Paris im vergangenen Jahr gab es bereits maximale Bekundungen von Trauer und Entsetzen. Jetzt Brüssel. Wieder die Erfahrung monströser Gewalt, wieder ein Stich ins Herz der freien, zivilisierten Welt. Und wieder die verzweifelte Frage nach einer angemessenen Reaktion.

Ohnmacht stellt sich ein, die Erkenntnis, dass Trauer und Entsetzen nicht bei jeder neuen Katastrophe zu überbieten sind. Die jüngsten Attentate von Brüssel waren so grauenvoll wie die von Paris und Madrid und London und Beirut und Washington und all die vielen, die uns kaum noch vor Augen stehen. Blumen, Kerzen, Zeichen der Solidarität, Schweigeminuten, Staatstrauer, Gottesdienste. Wieder einmal.

Wir beginnen zu ahnen, dass diese Reaktionen zu Ritualen werden könnten, die genauso angemessen wie hilflos sind. Die fanatisierten Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates wüten nicht mehr nur in Syrien und im Irak, sie haben zunehmend Europa ins Visier genommen. In ihrer perversen Ideologie, die auch für die meisten Muslime mit Religion nichts zu tun hat, ist der Westen ein Feind, den es mit allen Mitteln zu attackieren gilt.

Diese Angriffe, so steht zu befürchten, werden noch lange nicht zu Ende sein. Nach allem, was wir wissen und vermuten können, müssen wir in den nächsten Jahren mit weiteren Schreckenstaten der Dschihadisten in weiteren europäischen Städten rechnen. Auch Deutschland kann sich nicht in Sicherheit wiegen, obwohl wir von einer Katastrophe wie in Paris oder Brüssel bisher verschont geblieben sind.

Der islamistische Terror führt das zivilisierte und gebildete Europa an die Grenzen seiner Vorstellungskraft. Europa ist heute der Inbegriff von Aufklärung und Vernunft, Freiheit und Demokratie, Menschenrechten und Toleranz. Dieses Europa glaubt an die ethische Reflexionsfähigkeit des Menschen, an dessen Vermögen, eine sittliche Persönlichkeit auszubilden und ein geachteter Bürger im Kreis von Gleichgesinnten zu werden.

Fanatisierte, von jeder Rücksicht entkoppelte Selbstmordattentäter sind mit dem modernen europäischen Bild vom Menschen nicht vereinbar. Sie sind weder durch gute Worte noch durch guten Willen erreichbar. Und selbst die Staatsgewalt schreckt sie nicht.

Europa steht vor der verstörenden Erkenntnis, dass es am Ende des Tages kein wirkliches Mittel gegen den islamistischen Terror hat. Wer die Humanität im Namen einer höheren Macht verachtet, bewegt sich außerhalb der Werte und Normen, die Europa charakterisieren. Das macht es allen gesellschaftlichen und staatlichen Kräften so schwer, den islamistischen Terrorismus zu bekämpfen.

Jeder Anschlag führt dazu, dass Polizei und Sicherheitsbehörden versuchen, ihre Arbeit weiter zu verbessern, um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Und doch schleicht sich in ihre Kommentare ein schicksalsergebener Ton. Sie begreifen zunehmend, wie begrenzt die Möglichkeiten der Staatsgewalt sind, fanatisierte Dschihadisten zu stoppen.

Dass sie es trotzdem versuchen müssen, ist die eine Seite. Die andere aber ist, dass wir uns wappnen müssen, mit dem Terror zu leben. Dazu gehört, dass wir Abschied nehmen von der Vorstellung, Europa sei eine Komfortzone, in der wir von existenziellen Erschütterungen verschont bleiben. Mehr denn ist Europa bedroht, von Innen und Außen. Vielleicht erleben wir gerade wieder eine historische Wendezeit.

Auf jeden Fall aber sind wir als Bürgerinnen und Bürger gefragt: Werden wir die Kraft aufbringen, dem Terror standzuhalten? Werden wir nüchtern bleiben, wenn die Hysterie um uns herum wächst? Und werden wir der Angst trotzen, auch wenn uns der nächste Anschlag ins Mark trifft? Europa ist unsere Bewährungsprobe.

Michael Strauss