Warum wir aufpassen müssen, dass unsere Kommunikation zivil bleibt.

Die Empörungsgesellschaft unserer Tage neigt dazu, sich ständig selbst zu überbieten. Wer gehört werden will, muss sich unterscheiden. Das aber wird immer schwieriger. Denn Aufmerksamkeit ist eine Währung geworden, mit der immer mehr Akteure ihren Beutel füllen wollen – aus wirtschaftlichen und politischen Gründen oder ganz schlicht aus persönlichem Ehrgeiz.

Es wäre naiv zu meinen, die Medien spielten dabei eine untergeordnete Rolle. Sind sie es doch, die den Unterschied zum entscheidenden Kriterium gemacht haben. Aussicht auf mediale Berücksichtigung findet das, was neu und anders, katastrophal oder gar sensationell ist. Das gilt für die journalistischen Medien und erst recht für die sozialen und die Unterhaltungsmedien.

Überall werden wir mit einer Aufrüstung der Sprache und der Bilder konfrontiert, die besorgniserregende Ausmaße angenommen hat. Wer im Buhlen um Aufmerksamkeit zum Krieg gegen Andersdenkende und Anderslebende aufruft, wer sich Konzentrationslager für Flüchtlinge und Asylbewerber wünscht, wer öffentliche Personen mit Morddrohungen überzieht und sie auf die Guillotine schicken will, missbraucht nicht nur die Meinungsfreiheit in Deutschland; er zeigt sich vielmehr als Hassprediger und Volksverhetzer.

Wer so auftritt, stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft und unserer Rechtsordnung, die der Menschenwürde den obersten Rang zuerkennen. Er schürt die Sorge, dass der Schritt vom Gewaltredner zum Gewalttäter nur ein kleiner sein könnte.

Umso mehr, als Gewalt vor allem in den Unterhaltungsmedien mittlerweile zur gängigen Ästhetik gehört. Kaum ein Computerspiel, das seine Faszination nicht aus der Vernichtung von Leben zieht. Kaum ein Kino- und sogar Fernsehfilm, der nicht von Gewalt und Verbrechen erzählt.

Zugegeben, die Freiheit der Kunst muss die Möglichkeiten behalten, auch das Monströse des Menschen zu beleuchten. Ob aber Gewaltdarstellungen zum gängigen Kunstprinzip werden müssen, darf gefragt werden. Ist die Wirklichkeit nicht grausam genug? Muss die Grausamkeit auch noch zum Meisternarrativ unserer Fiktion und Fantasie werden?

Notwendig scheint jedenfalls eine Abrüstung unserer verbalen und visuellen Kommunikation zu sein. Hier können sich weder die journalistischen noch die sozialen noch die Unterhaltungsmedien ihrer Mitverantwortung entziehen. Schließlich stellen sie heute die Plätze und Plattformen zur Verfügung, auf denen sich unser Leben abspielt, das kaum noch privat und zunehmend öffentlich ist.

Die Unterscheidung zwischen wahrer und virtueller Wirklichkeit war philosophisch schon lange fragwürdig, heute ist sie es ganz praktisch für die Mehrzahl der Menschen, zumindest im Westen. Die medial vermittelte Wirklichkeit bestimmt unser Denken und Fühlen und Handeln. Sie ist aber eine Wirklichkeit, die in weiten Teilen gewaltförmig verfasst ist.

Wenn wir uns daran gewöhnen, könnten wir das Gespür dafür verlieren, dass unser Miteinander anders geprägt sein sollte: von Empathie und Mitmenschlichkeit, von Solidarität und Hilfsbereitschaft, von Friedfertigkeit und Toleranz. Hören wir auf damit, die Spirale der Empörung weiter nach oben zu schrauben. Sorgen wir dafür, dass unsere Kommunikation zivil bleibt und nicht auf einem Schlachtfeld endet.

Michael Strauss