Die Religionsfreiheit braucht als Garantie den säkuaren Staat. Denn ein religiös begründeter Staat führt schnell zu einer Gesinnungsdiktatur und zur Unfreiheit. Wenn wir in diesen Tagen sorgenvoll nach Amerika blicken, dann auch deshalb.

Die Religionsfreiheit ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Sie hat zwei Seiten. Einerseits gewährt sie das Recht, von Religion verschont zu bleiben. Andererseits begründet sie das Recht, die eigene Religion ungehindert ausüben zu können. Deutschland ist vor allem durch das erste Verständnis geprägt, Amerika durch das zweite. Das hat viel mit der Geschichte und der unterschiedlichen Religionskultur diesseits und jenseits des Atlantiks zu tun.

In Deutschland war das Grundgesetz nicht zuletzt eine Reaktion auf die weltanschauliche Indoktrination des Nationalsozialismus. Und der gesellschaftliche Aufbruch richtete sich auch gegen eine autoritäre Volkskirche und die öffentliche Geltung ihrer Moralvorstellungen. Hierzulande verbinden viele die Religionsfreiheit deshalb mit der Freiheit von der Kirche.

Ganz anders in Amerika. Hier herrscht die Tradition der Pilgerväter, die im 17. Jahrhundert vor religiöser Unterdrückung aus Europa flohen. Sie sahen in den Weiten der neuen Welt die Verheißung, frei und ohne Angst vor staatlicher Verfolgung ihren Glauben leben zu können. In der Folge entwickelten sich hier vor allem viele protestantische Glaubensgemeinschaften.

Oft sind es Gruppen, Konfessionen und Kirchen, die eine evangelikale Frömmigkeit pflegen. Sie ist vom Pietismus, Methodismus und der Erweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts geprägt. Diese Glaubensrichtungen messen der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus und einem irrtumsfreien, zum Teil wortwörtlichen Verständnis der Bibel entscheidende Bedeutung bei.

Daraus resultiert nicht selten eine Anfälligkeit für Fundamentalismus und moralischen Rigorismus, die sich auch öffentlich und politisch artikulieren. Zum Beispiel in der Ablehnung von Abtreibungen, Homosexualität oder Menschen mit anderen kulturellen und religiösen Traditionen. Viele Mitglieder der aktuellen amerikanischen Regierung verstehen sich als evangelikale Christen.

Sie machen aus ihren religiösen und ethischen Überzeugungen keinen Hehl und bewegen sich damit im Kontext einer Religionskultur, die in Deutschland irritiert. Sie machen damit aber auch deutlich, dass die These der Säkularisierung für weite Teile der Welt falsch ist. Lediglich für Westeuropa und seine intellektuelle Elite war sie die Meistererzählung des vergangenen Jahrhunderts.

Weite Teile der Welt sind nicht von Säkularisierung, sondern von religiösem Pluralismus geprägt. Die Religion ist mehr denn ein Angebot auf einem globalen Markt der Weltanschauungen. Sie wetteifert um die Seelen der Gläubigen und verlangt diesen eine individuelle Entscheidung ab. Ein Sachverhalt, der Amerika seit Jahrhunderten vertraut ist.

Deutschland wird er in jüngster Zeit neu zugemutet. Denn auch hier wird Religionsfreiheit zunehmend von der positiven Seite her verstanden. Das gilt insbesondere für die Muslime, die fest in ihrer religiösen Tradition verankert sind. Sie geben zu erkennen, dass ihre Frömmigkeit auch Auswirkungen auf das öffentliche Leben haben kann.

Ob in Amerika oder Deutschland, geht es deshalb um die entscheidende Frage, wie Religionsfreiheit dem Religionsfrieden dient. Denn religiöse Pluralität darf nicht zum konfliktvollen Gegeneinander von Religionen und erst recht nicht zum Religionskrieg werden. Wir brauchen Toleranz, auch organisierte, rechtlich verankerte Toleranz.

Sicherstellen kann das einzig und alleine der säkulare, weltanschaulich neutrale Staat. Die Religionsfreiheit braucht als Garantie den säkularen Staat. Denn ein religiös begründeter Staat führt schnell zu einer Gesinnungsdiktatur und zur Unfreiheit. Wenn wir in dieser Zeit sorgenvoll nach Amerika blicken, dann auch deshalb.

Michael Strauss