Angesichts der Flüchtlingskrise scheinen Teile der deutschen Bevölkerung in einem Teufelskreis der Angst gefangen zu sein: Sie wählen die „Alternative für Deutschland“ (AfD).

Deutschland verändert sich. Das macht vielen Angst – und lässt sie politisch nach rechts rücken. Die jüngsten Landtagswahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Angst scheint der vorrangige Grund zu sein, warum die „Alternative für Deutschland“ (AfD) aus dem Stand zweistellige Wahlergebnisse erzielen konnte. Eine Partei, die den Menschen einfache Antworten auf komplexe Fragen verspricht. Vor allem darauf, wie es gelingen soll, die Zuwanderung von Flüchtlingen möglichst schnell und effektiv zu begrenzen: durch nationale Abgrenzung, notfalls auch mit Hilfe von Waffengewalt.

Einfache Antworten und radikale Lösungen halten aber weder den realen Verhältnissen stand, noch sind sie mit dem humanen Menschenbild vereinbar, das dem Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland zugrunde liegt. Das wissen die politischen und publizistischen Eliten, die den öffentlichen Diskurs in unserem Land prägen. Umso verstörter sind sie, dass nennenswerte Bevölkerungsgruppen der AfD ihre Stimme gegeben haben. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch Deutschland einen Rechtsruck erlebt, wie er in anderen europäischen Ländern bereits erfolgt ist.

Erklärungen dafür fallen den etablierten Parteien schwer. Reflexartig heißt es im üblichen Jargon, man habe die Wähler nicht erfolgreich genug mit dem eigenen Programm erreicht. Und dass man nun noch intensiver als bisher die AfD in der politischen Auseinandersetzung bekämpfen müsse. Das ist so richtig wie hilflos. Denn dass die AfD demokratisch grenzwertige Positionen vertritt, war vermutlich selbst ihren Wählerinnen und Wählern schon vor den jüngsten Wahlen bekannt. Trotzdem hat sie große Unterstützung erhalten.

Dem eigentlichen Grund dafür dürfte nur schwer zu begegnen sein. Angst ist ein diffuses Gefühl, das sich rationalen Argumenten, nüchterner Vernunft und gebildeten Diskussionen verschließt. Sie ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie Menschen in sich selbst verschließt, so dass diese lieber ihrem Vorurteil folgen als sich eines Besseren belehren zu lassen. Überdies gebiert die Angst einen Argwohn, der hinter jedem Versuch der sachlichen Aufklärung eine Verschwörung der politisch Andersdenkenden sieht. Ein Teufelskreis.

Jüngste Umfragen zeigen, dass es vor allem die Angst vor dem Islam und einer steigenden, durch Muslime verursachten Kriminalität war, die der AfD in die Hände gespielt hat. Eine Angst, die trotz großer Flüchtlingszahlen durch keine nachvollziehbaren Argumente gedeckt ist. Trotz der Vorkommnisse von Köln wissen wir, dass die Kriminalitätsrate unter den Flüchtlingen nicht höher ist als in der deutschen Gesamtbevölkerung. Und trotz der Zuwanderung vieler Muslime beträgt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nicht mehr als fünf Prozent.

Wir dürfen die Integrationsaufgabe, vor der wir stehen, nicht verharmlosen. Sie ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer jüngeren Geschichte. Aber nüchtern betrachtet, ist sie zu bewältigen. Deutschland kann das schaffen, weil es wirtschaftlich und sozial zu den stärksten und leistungsfähigsten Ländern der Erde gehört. Niemand muss Angst haben, von Flüchtlingen überrannt und vom Islam diskriminiert zu werden. Es gibt keine vernünftigen Gründe, die AfD zu wählen.

Die AfD ist ein Profiteur der Angst. Und sie hat Führungspersonen, die das Spiel mit der Angst bestens beherrschen. Damit bewegt sich die Partei in einer Sphäre, die dem politischen Diskurs nur schwer unzugänglich ist. Deswegen werden die etablierten Kräfte auch weiter Mühe haben, die an die AfD verlorenen Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Denn Angst macht unfrei. Sie ist stets fixiert auf die Sorge um das Eigene und davor, zu kurz zu kommen. Angst isst die Seele auf.

Auch diese Zusammenhänge zeigen: Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selber nicht gewährleisten kann. Sie braucht sowohl politische Akteure als auch Wählerinnen und Wähler, die den Rücken frei haben. Menschen, die nicht aus Angst handeln, sondern aus einem gesunden Selbstbewusstsein. Deutschland, so könnte man in diesen Tagen meinen, braucht vor allem öffentliche Seelsorger. Damit die Angstbürger nicht zum tonangebenden politischen Milieu werden.

Michael Strauss